... der werfe den ersten Stein!
Künstlerische Installation im öffentlichen Raum von Wolfgang Keller
Zum österreichischen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

6. Mai–4. Juni 2000
Stephansplatz, Wien

 

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Aktuelle Dokumentation

 

Die Arbeit besteht aus einem 6 x 3 x 4 Meter großen Glashaus mit Holzboden, das im hinteren Bereich von zwei Seiten betreten werden kann. Der gegenüberliegenden Fassade ist eine hölzerne Wand vorgelagert, die – ähnlich einem Bauzaun – die Einsicht von außen verdeckt. Im Bereich zwischen diesem Zaun und dem Glashaus ist die Reproduktion eines Porträts von Adolf Hitler hinter Spezialglas montiert. Dadurch wirkt das Bild durchsichtig und reflektierend. Durch zusätzliche Spiegelungseffekte der Glaswände entsteht für den/die Betrachter/in ein bemerkenswerter optischer Eindruck, der das eigene Bild gleichzeitig vor, hinter und auf den Kopf Hitlers projiziert. Ob und in welcher Beziehung dazu man sich selbst sieht, entscheidet der individuelle Fokus. 

 Die Installation „... der werfe den ersten Stein!“ thematisiert als Kunstwerk den Kontext zwischen (kollektiver) Gewaltausübung und (individueller) Gewaltbereitschaft. In diesem Zusammenhang nimmt sie beispielhaft bezug auf das System des Nationalsozialismus als für unseren Kulturraum prägendes Ereignis (cultural identifier): „Die Fokussierung der öffentlichen Diskussion auf die Person Adolf Hitlers, auf den charismatischen Führerstaat, auf das totalitäre System, hat das Ausmaß der – im einzelnen sehr differenzierten – Involvierung breiter gesellschaftlicher Schichten in den Nationalsozialismus zugedeckt; insbesondere die Verführbarkeit des Einzelnen, die eine Voraussetzung für das Funktionieren eines solchen Systems war, ist in der Öffentlichkeit nicht genügend bewusst.“ (Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes)

 Das Publikum wird somit eingeladen, Fragen der Eigenverantwortung in Zusammenhang mit totalitären Phänomenen wie auch die Aktualität von Ausgrenzung und Intoleranz zu reflektieren.  Die Installation wird durchgehend von geeigneten Personen betreut, die den BesucherInnen für Gespräche und Diskussionen zur Verfügung stehen.

 Die Präsentation der künstlerischen Arbeit wird von einem wissenschaftlichen Symposium begleitet. Dabei sollen neben zeithistorischen Fragen vor allem aktuelle Erscheinungsformen totalitärer Phänomene sowie Gewaltbereitschaft, De-Solidarisierung und Intoleranz in der heutigen Gesellschaft diskutiert werden.   

 

Schirmherrin 
Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundestagspräsidentin a.D. Prof. Dr. Rita Süssmuth 

Architektur
Dipl.-Ing. Architekt Oliver Wilhelm, München  

Projektentwicklung und -koordination
Jutta Stute, Chemnitz 

Ausstellungsplan               
März 1998, Kloster St. Bonifaz, Königsplatz/München (Erstaufstellung)  

Mai/Juni 2000, Wien  

Jänner 2001, Deutscher Bundestag, Berlin 

Weitere Aufstellungen in Prag, Warschau und Paris sind in Vorbereitung 

Sponsor des Glashauses
Burghard M. Brogsitter 
She & BOGIE Modevertrieb GmbH 
Neuss / Düsseldorf 

 

  

Symposium
 „(Dis-)Kontinuitäten in gegenwärtigen Diskursen über den Nationalsozialismus“ 

 Anlässlich der öffentlichen Ausstellung der Installation „... der werfe den ersten Stein!“ in Wien vom 6. Mai – 4. Juni 2000 und unter Bezugnahme auf den österreichischen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus (5. Mai) veranstaltet der Verein ARCHE – Plattform für Interkulturelle Projekte eine Eröffnungsveranstaltung sowie ein dreiteiliges wissenschaftliches Symposium. 

  

Ausgangspunkt 

 Antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Aussagen und Maßnahmen sowie politische bzw. gesellschaftliche Entwicklungen werden immer wieder unter Bezugnahme auf den Nationalsozialismus als dem äußersten Referenzpunkt verbrecherischen Denkens und Handelns bewertet. Im Diskurs nach 1945, wie der Nationalsozialismus überhaupt möglich war, folgte auf die des peinlich-trotzigen Schweigens und des kompletten Abschiebens der Verantwortung auf „Hitler und seine Helfer“ mit den 68ern eine Differenzierung als „Kritik der Elterngeneration“. Seither laufen beide Diskussionsstränge mit wechselnder Intensität parallel, es gibt auch viele Ansätze, beide zusammenzuführen. Eine dritte Art, sich auf das Thema zu beziehen, könnte Verantwortung als Möglichkeit sein, und zwar für alle Menschen, egal wann und wo se geboren sind.   

 „...der werfe den ersten Stein!“ macht alle drei Ebenen sicht-, vor allem aber erlebbar: Führerportrait, Spiegelung des Betrachters und Spiegelung der Spiegelung vor, hinter und auf dem Abbild. Das optische Kaleidoskop fungiert als Sinnen-Bild für die möglichen hinEin-Sichten. 

 Die Veranstaltungen des Rahmenprogramms thematisieren nicht die Person Hitlers bzw. deren und die von ihr beeinflusste Geschichte, sondern die aktuelle Wirksamkeit von Strukturen und Verhaltensmustern, die auf Interpretationen des „Hitlerbildes“ als Determinante (cultural identifier) eines Wertesystems basieren: 

  • Die Präsenz dieser Determinante in gegenwärtigen Sprach- und Denkstrukturen im Blick auf den Diskurs über Nationalsozialismus, Neonazismus und faschistoide Tendenzen; 

  • Zusammenhänge zwischen Zuordnungen von Schuld bzw. Verantwortlichkeit respektive Distanzierung und der verabsolutierten Dimension des „Bösen“;  Problematik der Relativierung sowie der Differenzierung in Bezug auf Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Neonazismus;  

  • Zusammenhänge zwischen Wertesystemen und deren Legitimierung zufolge der Definition von „gut“ und „böse“ in Verbindung mit der Einführung „absoluter“ Maßstäbe; Parallelität von Immanenz und Ausschluss des „Bösen“: Diskrepanz zwischen der Verurteilung des Nationalsozialismus und der gleichzeitig ablaufenden gesellschaftlichen Integration seiner Protagonisten nach 1945. 

 Programm  

Eröffnung               
Samstag, 6. Mai 2000, 19:00 – 21:30 Uhr

19:00 Uhr Begrüßung
Dr. Richard Schmitz, Bezirksvorsteher der Inneren Stadt 
Frau Wiltrud Holik, Botschafterin der BR Deutschland

Podiumsgespräch:
Univ. Prof. Dr. Ruth Wodak, Dr. Anna Mitgutsch, Dipl.-Ing. Jan Tabor, Wolfgang Keller
Moderation: Dr. Peter Huemer

Anschließend Eröffnung der Installation 

 

Symposium            
Freitag, 12. Mai 2000, 18:00 – 21:00 Uhr 

18:00 Uhr 
Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer / DÖW Wien
Zur Problematik der NS-Vergangenheit in Österreich 

18:45 Uhr
Dr. Christian Schneider / Sigmund Freud Institut Frankfurt
Die unendliche Geschichte. Von der Gegenwart der Vergangenheit beim Nachdenken über die Zukunft demokratischer Gesellschaften 

19:30 Uhr
 Podiumsdiskussion mit den Referenten


Samstag, 13. Mai 2000, 10:00 – 13:00 Uhr

10:00 Uhr
Mag. Josef Prinz / Evangelischer Pfarrer, Linz
"Gott und das Böse“: Biblisch-theologisches Aufbegehren gegen die Macht des Verdrängens 

10:45 Uhr
Ao. Univ. Prof. Dr. Gerhard Bodendorfer /Theologe, Universität Salzburg
Schuld und Sühne?! Die katholische Kirche und ihr schwieriger Umgang
mit der Shoa

11:30 Uhr
Podiumsdiskussion mit den Referenten 

Samstag, 13. Mai 2000, 15:00 – 18:00 Uhr 

15:00 Uhr 
Dr. Lars Rensmann / Politikwissenschafter, Freie Universität Berlin
Politisch-psychologische Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Gegenwart: Zur Dialektik von neueren Vergangenheitsdiskursen und gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber dem Holocaust in Deutschland

15:45 Uhr
Dr. Margit Reiter / Historikerin, Wien 

„Tischgespräche“ intergenerationelle Kommunikation über den Nationalsozialismus in familiären und gesellschaftlich Kontext in Österreich 

16:30 Uhr
Podiumsdiskussion mit den ReferentInnen 

Eintritt:   250,- / 200,- (erm.)
Halbtag: 100, - / 70,- (erm.)
 

Kooperationspartner: 
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 
Amt für Stadtplanung Wien / Gruppe Wissenschaft 
Österreichische Postsparkasse
www.blackbox.net

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English version (summary)  

 

... der werfe den ersten Stein! 

 On the occasion of the Austrian Memorial Day of the Victims of the Holocaust Arche will present an installation of the Munich artist Wolfgang Keller. The installation is a glass house  measuring 6 x 3 x 4 meters. In the rear end it can be entered from two sides..  The opposite side is covered by a wooden wall which prevents the view to the outside. Between the glass house and this wooden wall is a reproduction of a portrait of Adolf Hitler mounted behind special glass  which makes the picture at the same time reflecting and transparent. Further reflections create the impression for the observer that his own image is at the same time in front, behind and in Hitler’s head. The individual focus determines the relationship between the observer and the portrait. 

 The installation as a work of art deals with the relationship between (collective) use of force and (individual) tendencies to violence. In this context National Socialism serves as cultural identifier for our region. „The focus of public  debate on the person of Adolf Hitler, on the charismatic „Fuehrerstaat“ on its totalitarian system has covered up the extend to which a broad public has been involved in National Socialism; especially the corruptibility of the individual, which was the prerequisite for the functioning of such a system, is not sufficiently present in the awareness of the public. (Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Director of the Austrian Resistance Archive, Vienna). 

 In connection with the showing of the installation a symposium on “(Dis-)Continuities in the Current Discourses on National Socialism” will be held on May 12/13.

  

The public is invited to answer questions in connection with totalitarian phenomena as well as current discrimination and intolerance.