Die Lebendigkeit der Geschichte The Presence of the Absence
Rückblick
KonferenzteilnehmerInnen
Unbequeme Erinnerung
Eine Konferenz über den Holocaust und Österreichs Verdrängung

Gut 300 Teilnehmer aus Deutschland, England, Holland, Israel, Tschechien, Australien, Neuseeland, den USA und Österreich drängten, diskutierten und echauffierten sich drei Tage lang in der Wiener Universität; es ging um historische Leugnungsprozesse und Rollenzuschreibungen. Dass dies Anfang September 1999 in Wien anlässlich einer Internationalen Konferenz für Überlebende und Nachkommen von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus geschehen konnte, ist immer noch keine Selbstverständlichkeit angesichts der Verdrängungsgeschichte, die der Holocaust im Nachkriegs-Österreich erfuhr.
Warum 1938 die Begeisterung für den Anschluss so groß - und wie heftig das mit dem Dritten Reich vereinte Österreich an der Arisierung, der Jagd undVernichtung rassisch und politisch unerwünschten "Volksgutes" beteiligt war,darüber schwieg man nach 1945: Die Republik Österreich sah sich offiziell als Opfer des Faschismus und lebte mit dieser Rolle ganz gut. Die Diskussion über die Opfer-Rolle und den Austro-Faschismus begann erst Ende der achtziger Jahre, als Bundespräsident Kurt Waldheim seine militärischeVergangenheit schrecklich verharmloste und damit eine internationale Debatte anstieß. Bundeskanzler Franz Vranitzky rüttelte dann 1991 die Bürger auf mit dem ersten offiziellen Eingeständnis der Mitverantwortung am Holocaust.
Vortrag Brumlik / Beckermann
Heute geht die Debatte weiter - manchen immer noch zu schleppend, zu halbherzig. Doch in seiner Analyse der österreichischen Nachkriegspolitik,ihrer Einstellung zum Holocaust und zu den überlebenden Juden, die der in Jerusalem lehrende Historiker Robert S. Wistrich im Frühjahr veröffentlicht hat (siehe SZ vom 12. August), befindet auch er, dass der Holocaust nunmehr kritisch in Österreich diskutiert werde.
Auch die Wiener Konferenz bestätigte, dass sich das Bewusstsein für die Mittäterschaft der selbstdeklarierten Opfer wandelt. Das Referat der Wissenschaftlerin Claudia Kuretsidis-Haider über dieNS-Prozess-Geschichte in Österreich zum Thema: "Verdrängte Schuld - vergessene Ahndung" erläuterte, weshalb in den ersten zehn Jahren der Zweiten Republik diese Prozesse aus dem öffentlichen Bewusstsein gestrichen waren. Dissertationen über österreichische Konzentrationslager und die Justizgeschichte der sechziger und siebziger Jahre seien "nachhaltig von den Historikerkollegen ignoriert worden." Nun aber gibt es seit Dezember 1998 eine zentrale Österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, die, ähnlich wie das deutsche Pendant in Ludwigsburg, der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in Österreich dienen soll: "Ein sehr später Beitrag wider dasVergessen", so die Referentin.
Podium 3. September: Sarközi · Lappin · Baranyai · Martl
Wie sich im Nachkriegsösterreich die gesetzlichen Vorschriften gegen nationalsozialistische (Wieder-)Betätigung und ihre Vollzugspraxis entwickelten und veränderten, erläuterte der ehemalige Richter und Autor Heinrich Gallhuber: "Eine den Nationalsozialismus und seine möglichen Rezidivformen mehrheitlich entschieden ablehnende Stimmung in der Bevölkerung sowie die Ausübung der Rechtspflege durch antinationalsozialistisch engagierte Richter ist leider nicht zu allen Zeiten eine Selbstverständlichkeit gewesen und ist dies auch heute nicht."
Dass österreichische Versäumnisse beim Eingeständnis der Holocaust-Beteiligung für die deutschen Nachbarn kein Anlass zu selbstgerechter Zufriedenheit sein können, stellte Wolfgang Benz fest. Der Professor an der Berliner TU und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung nannte in seiner Erörterung der deutschen Entnazifizierung das deutsche Beispiel "ein Gegenstück zum österreichischen, aber nicht ein Erfolgsstück" und betonte, dass die alliierten Bemühungen um die Ahndung der deutschen Verbrechen die entscheidende Rolle bei derBehandlung der Täter gespielt hätten. Was wäre gewesen, wenn im ehemaligen Hitler-Reich diese Bestandsaufnahme den Deutschen überlassen worden wäre? Hätte die deutsche Justiz den notwendigen Eifer entwickelt?
Podium 1. September: Brumlik · Beckermann · Pulzer · Huemer · Strauß · Uhl
Die Fülle des Angebots bei solchen Symposien führt nicht immer zum uneingeschränkten Wohlgefallen der Teilnehmer, sie müssen sondieren, auswählen. Teil des Angebots waren Referate zur Situation der Sinti und Roma, in denen die Verweigerung ihrer Anerkennung und die Fehler der österreichischen Entschädigungspolitik angeprangert wurden. Nach wie vor ungelöst ist auch die Frage, wie die Tätergesellschaften mit den Entschädigungsforderungen jüdischer Opfer und ihrer Nachkommen umgehen. Rechtsanwalt Willi Korte, Begründer des Holocaust Art Restitution Project,verwies darauf, dass Problematik und Regelungsbedarf der Rückerstattung seit vielen Jahren bekannt sei. SZ-Redakteur Michael Stiller brachte Beispiele von Nazi-Opfern aus den Ländern der früheren Sowjetunion, die man bis1990 an der Anmeldung ihrer Forderungen gehindert habe. Und die unermüdliche Passauerin Anna Rosmus, die seit Jahren an der Aufdeckung von Nazismus und Antisemitismus arbeitet, belegte, wieviele Antragsteller schon nach 1945 abgeschmettert worden waren durch systematische Behinderung seitens derBehörden.
Schneller hat sich ein Projekt der Wiener Gedächtniskultur lösen lassen: DasMahnmal auf dem Wiener Judenplatz wird von der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread gestaltet. Ihr Entwurf eines nach außen gekehrten Bücherhauses,das die Auslöschung der Juden und ihrer Kultur versinnbildlicht, wirkt auf Kritiker im Gegensatz zur Drastik von Alfred Hrdlickas Antifaschismus-Denkmal mit dem straßenschrubbenden Juden vor der Albertina ästhetisierend. Immerhin, man habe nur vier Jahre Zeit gebraucht für dieEntscheidung, im Gegensatz zur Berliner Mühsal mit dem dortigen Holocaust-Mahnmal, hieß es in einem Resumee zum Wiener Projekt.
Podium 2. September: Broukal · Kothbauer · Rosmus · Sarközi · Jahoda · Korte · Einem
Die Veranstalter der Konferenz - der Londoner Second Generation Trust, das Institut für Vergleichende Geschichtswissenschaften in Berlin, die WienerVereine Arche und der Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Auswirkungen und weitere Sponsoren -versuchten bei der Erstellung ihres Konferenzprogrammes durch Workshops, Projektpräsentationen und Offene Foren der sensiblen Befindlichkeit ihrer Teilnehmer gerecht zu werden: Eine Begegnung von Opfern und Tätern und deren Nachkommen, wie sie hier stattfand, ist konfliktbeladen. Sie wird aber vor allem zum Beweis dafür, wie stark gerade in der Dritten Generation das Bedürfnis nach Wissen und Aufklärung ist. Dies zeigte das intensive Echo auf die Vorführung eines Fernsehfilms aus Deutschland über eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem Sohn eines Holocaust-Täters und eines Holocaust-Opfers, dies zeigte auch das Interesse an verschiedenen internationalen Encounter-Gruppen, in denen die Nachkommen versuchen, aus ihrer Schweige- und Abwehrsituation herauszufinden. Und die Forschungsergebnisse der Berliner Soziologin Gabriele Rosenthal über transgenerationelle Folgen der Nazi-Verbrechen und ihrer Verleugnung für dieKinder und Enkel machten eines erst recht deutlich: Fragen nach den Hintergründen dieser Verbrechen und ihren Auswirkungen auf die Biographien der nachgeborenen Opfer und Täter wollen nicht enden - sie können und dürfen nicht enden.

BIRGIT WEIDINGER
Süddeutsche Zeitung 11.9.99

Empfang durch die Stadt Wien
Lynn Gaubatz
Publikum
Workshop
Workshop
Workshop
Workshop
Workshop
Workshop
Stadtrundgang
Stadtrundgang
OrganisatorInnen
Abschluß